“The 100”, das “Clexa”-Debakel und die Folgen

19. März 2016 – Archiv

Die Science Fiction-Serie “The 100” könnte bahnbrechend für die Darstellung von lesbischen und bisexuellen Frauenfiguren in Fernsehserien werden – allerdings aus anderen Gründen, als ursprünglich gedacht.

(Vorsicht: Dieser Beitrag enthält Spoiler für Staffel 3 der Serie!)

“LGBT fans deserve better”.

Diese Worte lese ich derzeit sehr häufig in meiner Twitter-Timeline. Der Hintergrund hierfür ist ärgerlich, traurig und frustrierend und hat zu heftigen Debatten in sozialen Netzwerken und Online-Medien geführt. Es geht um den Tod einer beliebten Figur in einer Serie, für die auch ich bis vor kurzem vor allem lobende Worte übrig hatte: The 100.

In den vergangenen Monaten bin ich immer mal wieder angesprochen worden, ob ich hier bei Rosalie & Co. nicht etwas über The 100 schreiben wolle. Dort bahne sich eine Liebesgeschichte zwischen den weiblichen Figuren Clarke und Lexa an, von den Fans “Clexa” genannt. Sie hätten sich sogar schon geküsst. Außerdem sei deutlich gemacht worden, dass die Figur Lexa schon vorher einmal in eine Frau verliebt gewesen sei. Die Hoffnungen der Clexa-Fans für die dritte Staffel der Serie, die im Januar startete, waren riesig und wurden auch von der Produktion der Serie befeuert, allen voran Showrunner Jason Rothenberg.

Jetzt ist Lexa tot, gestorben durch eine Kugel, die eigentlich Clarke treffen sollte, und zwar unmittelbar nachdem Clarke und Lexa endlich zueinander gefunden und sich zum ersten Mal geliebt hatten.

Die Fanreaktionen auf Lexas Tod sind vielfältig, sie reichen von Fassungslosigkeit und Verzweiflung bis zu rasender Wut. Sie sind aber vor allem eines: Öffentlich. Und sie halten an. Der Kern der Vorwürfe: Dass mit Lexa schon wieder eine lesbische Figur in einer Fernsehserie sterben musste. Die Botschaft: Es reicht. Lexa hätte etwas Besseres verdient gehabt. Die Fans hätten etwas Besseres verdient gehabt. Und hört endlich auf, lesbische Frauen zu töten!

Dass lesbische und bisexuelle Frauenfiguren in Fernsehserien sterben, und zwar oftmals dann, wenn sie gerade einen Moment des Glücks erlebt haben, kommt leider allzu häufig vor. Beim Online-Portal Autostraddle findet sich hierzu eine aufschlussreiche, aber auch reichlich deprimierende Liste. Viele Kritikerinnen und Kritiker halten Jason Rothenberg daher vor, Lexas Tod erfülle ein stereotypes, äußerst negativ konnotiertes Muster für die Art der Darstellung lesbischer und bisexueller Frauenfiguren, das impliziert, dass sie niemals auf Dauer glücklich werden können, weil immer eine irgendwann stirbt. Im Englischen wird dies, bezogen auf alle LBGT-Figuren, als “Bury Your Gays” bezeichnet, speziell für Frauen als “Dead Lesbian Syndrome”.

Rothenberg sieht dies anders. Lexas Tod habe nichts mit ihrer Sexualität zu tun gehabt. Es habe gewichtige Gründe dafür gegeben, die Geschichte so zu erzählen, wie man es getan habe. Ein Faktor sei u.a. gewesen, dass Lexa-Darstellerin Alycia Debnam-Carey nur für eine begrenzte Anzahl von Folgen zur Verfügung stand. Außerdem erfülle Lexas Tod eine wichtige Funktion im Hinblick auf den weiteren Verlauf der aktuellen Staffel.

Was ich an dieser Diskssion schwierig finde ist, dass es aus meiner Sicht keine allgemeingültige Definition für das Dead Lesbian Syndrome gibt. Damit können sowohl Rothenbergs Kritiker*innen als auch diejenigen, die ihn verteidigen, Recht haben, je nachdem, wie sie es für sich definieren. Meines Erachtens ist das aber auch nicht entscheidend. Denn selbst wenn man die Entwicklung der Clexa-Storyline und insbesondere Lexas Tod losgelöst davon betrachtet, dass es schon so viele tote lesbische und bisexuelle Figuren gab, reichen Rothenbergs Argumente zumindest für mich trotzdem nicht aus, um zu rechtfertigen, wie hier mit der lesbischen Figur Lexa und ihren Fans umgegangen wurde. Die Tatsache, dass es das Dead Lesbian Syndrome gibt, macht es nur noch schlimmer.

Egal wie man es dreht und wendet, eines lässt sich nicht wegdiskutieren: Lexa ist gestorben, weil sie Clarke geliebt hat.

Titus, Lexas Mentor und späterer Mörder, hat Lexa vorgehalten, dass ihre Gefühle für Clarke ihr Urteilsvermögen trüben würden, dass sie sie unfähig machten, ihre Funktion als Commander und damit Anführerin ihres Volkes so auszufüllen, wie es aus seiner Sicht erforderlich war. Er wollte Clarke töten, damit Lexa wieder ihre Pflicht erfüllen kann. Wäre Lexa nicht in Clarke verliebt gewesen, hätte Titus keinen Grund gehabt, auf Clarke zu schießen, wobei Lexa tödlich getroffen wurde.

Aufgrund ihrer Liebe zu Clarke war Lexa im Zeitpunkt ihres Todes zudem so verletzlich wie nie zuvor in der Serie. Zumindest war das mein Eindruck beim Ansehen der – isoliert betrachtet wunderschönen – Liebesszene zwischen Clarke und Lexa. Aus Lexa, der beherrschten Anführerin, dem Commander, wird Lexa, die verliebte junge Frau. Sie gibt die Kontrolle auf, überlässt Clarke die Initiative und gibt sich ihr völlig hin. Es ist sicherlich nicht fernliegend anzunehmen, dass dies auch in dem Moment noch nachgewirkt hat, als sie in das Zimmer gestürmt ist, wo Titus gerade versucht hat, Clarke zu erschießen.

Durch die Art ihres Todes wurde Lexa, die Kriegerin, die Anführerin, zudem zum Opfer gemacht. Sie, die in einer der vorherigen Folgen einen größeren, stärkeren Mann in einem Zweikampf auf Leben und Tod besiegt hatte, um ihre Position als Commander zu untermauern, durfte nicht kämpfend und für etwas sterben, an das sie glaubte, wie für das Überleben und die Zukunft ihres Volkes. Sie ist im Schlafzimmer ihrer Freundin gestorben, an einer Kugel, die nicht für sie bestimmt war und hatte dabei nicht einmal die Chance, sich zu verteidigen oder bewusst für Clarke zu opfern.

All das wäre auch tragisch gewesen, wenn Lexa eine heterosexuelle Frau gewesen wäre. Und es wäre respektlos gegenüber der Figur Lexa gewesen, wie sie in Staffel 2 und 3 aufgebaut wurde.

Lexa deserved better.

Dass Lexa aber eine lesbische Frau war, gibt dem Ganzen eine weitergehende Dimension.

Auch wenn es inzwischen gerade in US-Serien deutlich mehr lesbische und bisexuelle Frauenfiguren gibt als noch vor einigen Jahren, sind es doch nur wenige, die sich so als Rollenvorbild und Identifikationsfigur gerade auch für junge lesbische Frauen eignen wie Lexa: Eine Anführerin, stark, mutig, respektiert und vor allem offen lesbisch. Ihre Sexualität spielt für ihr Volk keine Rolle, niemand zuckt auch nur mit der Wimper deswegen. Die Bedeutung von Lexa, ihre Einzigartigkeit wird in diesem Artikel bei blastr gut auf den Punkt gebracht: “At last check, there are precisely zero other characters like Lexa on television.” Und ausgerechnet dieser Frau wird es zum Verhängnis, dass sie sich verliebt. Für Menschen, die bezüglich ihrer Sexualität noch in der Findungsphase sind, denen vielleicht gesagt wurde, dass ihre Liebe Sünde ist, Gott sie dafür strafen wird und sie niemals glücklich werden können, ist dieses Signal katastrophal: Wenn du so liebst wie sie, wenn du deinen Gefühlen nachgibst, dann kann das tödlich enden. Nicht einmal eine Frau wie Lexa ist davor geschützt.

Und ja, es gibt in der Serie immer noch Clarke, und ja, sie ist eine Anführerin und stark und mutig und ja, sie liebt auch Frauen. Aber ihre Liebe endete ebenfalls tragisch, auch sie durfte letztlich mit der Frau, die sie liebt, nicht glücklich werden. Ein wirklicher Trost kann das also nicht sein.

Aber auch für die übrigen Fans von Clexa, viele von ihnen aus der LGBT-Community, ist Lexas Tod ein harter Schlag. Sie fühlen sich ausgenutzt und betrogen, weil sie über Monate hinweg mit entsprechenden Interviews, Tweets von Rothenberg & Co. und “geleakten” Bildern aus dem Staffelfinale, in dem Lexa noch am Leben zu sein schien, geködert und in dem Glauben gelassen wurden, dass alles gut wird. Dass Clexa zum “main couple” der Staffel werden könnten. Dass es die Chance auf ein Happy End gibt. Viele Fans werfen Rothenberg daher vor, eine besonders perfide Form von “Queerbaiting” betrieben zu haben, d.h. die Hoffnung darauf, dass dieses Frauenpaar eine Zukunft hat, bewusst genährt und aufrechterhalten zu haben, damit die Fans die Serie weiterhin gucken und sich in den sozialen Netzwerken engagieren, obwohl bereits klar war, dass Lexa sterben wird.

Clexa fans deserved better.

Doch es scheint nicht ausgeschlossen, dass Rothenberg seine Ignoranz letztlich doch zum Verhängnis werden könnte. Nicht nur, dass es auch hinter den Kulissen von The 100 wegen Lexas Tod heftig knirschen soll. Die Fanproteste haben ein Ausmaß erreicht, das auch dem Sender The CW langsam unheimlich werden dürften. Zwar wurde The 100 gerade um eine weitere Staffel verlängert. Aber die negative Aufmerksamkeit, die der Serie gerade zuteilwird, kann keinem der Verantwortlichen dort gefallen. Seit der Ausstrahlung der Folge, in der Lexa stirbt, am 3. März hat es eine Flut von Artikeln gegeben, die sich insbesondere mit Lexas Tod und den Fanreaktionen beschäftigen, und zwar nicht nur in Medien der LGBT-Community, sondern auch in Nachrichtenmedien wie beispielsweise der BBC. Maureen Ryan, Fernsehkritikerin für das Branchenmagazin Variety, hat sich bereits zweimal zu der Kontroverse geäußert. Ihre beiden Artikel, die die Gründe für den Protest und seine möglichen Auswirkungen gut auf den Punkt bringen, habe ich ebenso wie andere sehr lesenswerte Beiträge zu dem Thema am Ende dieses Artikels verlinkt.

Diese mediale Aufmerksamkeit, auch wenn es dafür einen schmerzhaften Anlass gibt, könnte zudem positive Folgen haben. Denn kaum ein Artikel kommt darum herum, im Zusammenhang mit den Fanprotesten auch das Dead Lesbian Syndrome zu thematisieren und die Tatsache, wie viele lesbische und bisexuelle Frauenfiguren schon den Serientod sterben mussten. Das wirft kein gutes Licht auf Serienproduzenten. Die Chance stehen nicht schlecht, dass Showrunner, aber auch Senderverantwortliche zukünftig noch deutlich sensibilisierter für die Problematik sind, die ein Einsatz dieses Erzählmusters mit sich bringen könnte. Zumindest bei Javier Grillo-Marxuach, dem Autor der betreffenden Folge von The 100, ist dies bereits so, wie man in Medienberichten über sein neues Serienprojekt, aber auch in seinem eigenen Tumblr-Account lesen kann. Das ist insofern relevant, als dieses Projekt für lesbische Serienfans eine besondere Bedeutung hat. Grillo-Marxuach arbeitet nämlich an der Neuauflage von Xena und diesmal soll die Beziehung zwischen Xena und Gabrielle nicht mehr nur Subtext sein.

Aber auch über den Einsatz von Queerbaiting, um das Engagement von LGBT-Fans in sozialen Netzwerken zu erhöhen, dürften die Verantwortlichen zukünftig hoffentlich zweimal nachdenken. Denn genauso, wie Fans einer Serie in den sozialen Netzwerken positive Aufmerksamkeit verschaffen und so zu ihrem Erfolg beitragen können, können sie eben auch für jede Menge negativer Publicity sorgen. Da hilft es auch nicht, sämtliche Kritik an sich abprallen zu lassen, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als sei nichts passiert, wie dies Rothenberg seit der Ausstrahlung der Folge auf Twitter praktiziert – wo er übrigens seitdem ca. 17.000 Follower verloren hat.

Das Beispiel The 100 macht sehr deutlich, dass es sich Serienverantwortliche nicht (länger) leisten können, ihre Serien so zu gestalten, als gebe es die reale Welt nicht, als existiere man in einem Vakuum. Was auf dem Bildschirm passiert, hat Auswirkungen in der realen Welt. Gerade wenn es um die Repräsentation von Minderheiten geht, müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden und welches Bild von dieser Minderheit man den Zuschauerinnen und Zuschauern vor dem Fernseher mit einer bestimmten Art der Darstellung vermittelt. Denn es besteht die Gefahr, dass Vertreter von Minderheiten, gerade wenn sie nur selten vorkommen, nicht als Individuum wahrgenommen werden, sondern als Beispiel für die gesamte Gruppe, einfach weil die Vergleichsmöglichkeiten fehlen.

Dies ist auch bei queeren Figuren der Fall, die zwar inzwischen deutlich häufiger in Serien vorkommen, aber noch lange nicht häufig und vor allem nicht selbstverständlich genug. Sie müssen daher mit mehr Fingerspitzengefühl geschrieben werden als Hetero-Figuren, weil jede klischeehafte Darstellung noch immer schwerer wiegt und nicht hilfreich ist, wenn es darum geht, Vorurteile abzubauen. Aber nicht nur das: The 100 hat mir und hoffentlich auch anderen noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig queere Figuren auch heute noch als Identifikationsfiguren und Rollenvorbilder gerade für junge Leute im Coming-out sind und wie verheerend es sein kann, wenn diese keine positive, hoffnungsvolle Storyline haben.

LGBT fans deserve better.

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