Interview mit Lucy Scherer

14. Juli 2011 – Archiv

Bekannt geworden ist sie unter anderem durch ihre Rollen als Sarah in „Tanz der Vampire“ und Glinda in „Wicked“. Vor einigen Monaten tauschte Lucy Scherer jedoch die Musicalbühne gegen ein Fernsehset und spielt seitdem die Schülerin Jenny Hartmann in der Sat.1 Telenovela „Hand aufs Herz“. Als Neuzugang aus London verdreht sie nicht nur den Jungs an der Schule den Kopf, sondern erobert nach einigem Hin und Her auch das Herz ihrer schüchternen Mitschülerin Emma (Kasia Borek).

Mit Rosalie & Co. hat Lucy unter anderem über ihre Rolle, den „Jemma“-Hype und die Unterschiede zwischen einer Fernseh- und einer Musicalproduktion gesprochen.

Hat als Jenny nicht nur Serien-Freundin Emma den Kopf verdreht: Schauspielerin Lucy Scherer

von MeL

Rosalie & Co.: Lucy, Du hast Musical studiert und hattest Hauptrollen unter anderem bei „Tanz der Vampire“ und „Wicked“. Wie bist Du darauf gekommen, jetzt plötzlich in einer Serie mitzuspielen?

Lucy Scherer: Ich habe nach meinem Abschluss viel gearbeitet, die Vor- und Nachteile kennengelernt, die dieser Job mit sich bringt, und habe mich an dem Punkt gefühlt, an dem ich mal was Neues kennenlernen wollte. Es war immer schon ein Traum von mir, mit der Kamera zu arbeiten, aber in der Musicaldarstellerausbildung lernt man das leider nicht. Deshalb habe ich mir das vorgenommen, und als ich gehört habe, dass da jemand gesucht wird, der singen und tanzen kann, dachte ich mir, dass ich dafür ja perfekt wäre.

R&C: Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit vor der Kamera für „Hand aufs Herz“ von der Arbeit beim Musical?

LS: Das Singen und Tanzen bei „Hand aufs Herz“ ist mit Musicalproduktionen überhaupt nicht vergleichbar. Auf der Bühne wird man zum Beispiel nicht unterbrochen, man muss das Lied durchsingen, egal was passiert. Die Tanz- und Gesangdrehs bei uns sind dagegen sehr durchgeplant, es muss alles abgepasst und aufeinander abgestimmt werden und das ist viel schwieriger, als man das so annimmt. Das ist eine besondere Herausforderung für alle, nicht nur die Darsteller, sondern auch Regie, Kameraleute etc. Ohnehin war es überraschend für mich, wie viel hier am Tag von allen Abteilungen gearbeitet wird. Ich habe ja noch nie bei einer Serie gearbeitet und habe das unterschätzt.

R&C: Inwieweit kannst Du Dich da auch an Deine Kollegen, die ja teilweise mehr Erfahrung mit der Arbeit bei einer Serie haben, anlehnen und von ihnen lernen?

LS: Man lernt von seinen Kollegen ja immer am meisten, und das gilt natürlich auch bei „Hand aufs Herz“. Da ist insbesondere Kasia sehr wichtig für mich, nicht nur, weil sie schon Erfahrung mit der Kamera hat, sondern auch menschlich, weil sie einfach eine andere Ruhe hat, sehr offen ist und keine Vorurteile hat. Außerdem ist sie eine ganz hervorragende Schauspielerin.

R&C: Was hat Dich an der Rolle der Jenny Hartmann gereizt?

LS: Jenny ist jemand, die ganz stark auf der Suche war, insbesondere bevor sie nach Köln gekommen ist. Sie hat sich sehr hemmungslos auf die Suche nach Liebe gemacht, bis sie sich wirklich verliebt hat, und zwar in Emma. Dieses Suchende finde ich ganz schön an ihr. Emma ist vielleicht nicht die erste Liebe für Jenny, aber das ist auf jeden Fall eine große Liebe und etwas, das Jenny so vorher noch nicht hatte.

R&C: Und wie viel von Lucy Scherer findet sich in Jenny Hartmann?

LS: Jenny ist viel selbstbewusster als ich, viel robuster. Moralisch gibt es trotzdem kaum etwas von dem, was die Jenny da von sich gibt, das ich als Lucy verurteilen würde. Ich habe mit einigen Themen, die Jenny beschäftigen, auch keine Erfahrung und habe ganz viel recherchiert. Das Schöne am Schauspielersein ist ja, dass man versuchen kann, sich in die Probleme von anderen Menschen hineinzufinden.

Andererseits fließt auch viel von mir in die Jenny ein. Dadurch, dass beim Dreh immer alles sehr schnell gehen muss, nimmt man intuitiv ganz viel von sich selbst und bringt es in die Rolle ein.

R&C: Wusstest Du von Anfang an, dass Jenny sich in Emma verlieben würde?

LS: Beim Casting wusste ich noch nicht, in welche Richtung sich die Rolle entwickeln würde, das kam erst später. Als ich dann in der Rollenbeschreibung gelesen habe, dass es da diese Schulfreundin Emma gibt und dass zwischen den beiden auch etwas Anderes sein könnte, da war ich schon für einen Moment überrascht, habe mich dann aber eher gefreut. Ich habe zwar schon lesbische Rollen gespielt, zum Beispiel an der Uni, oder auch die Lulu, die zwar nicht lesbisch ist, aber die sich durchaus nicht dagegen gewehrt, Gefühle von einer Frau anzunehmen, allerdings hatte das alles nicht dieses Ausmaß.

Für mich ist das etwas Besonderes, das ich so noch nicht gespielt habe, und das hat sich spannend angehört. Kasia und ich haben bei unserem ersten Gespräch auch darüber gesprochen, wie das für uns wäre, das zu spielen, und wir haben da beide nicht lange gezögert. Es gibt wohl auch Schauspieler, die so eine Rolle nicht spielen würden, aber ich empfinde das als Herausforderung. Letzten Endes – und darauf basiert die ganze emotionale Anbindung – ist Liebe einfach Liebe.

R&C: Hast Du Dich besonders auf die Rolle der Jenny und gerade auch die Coming-Out-Geschichte vorbereitet?

LS: Ich habe ein bisschen gelesen und mich an Filme erinnert, die ich gesehen habe, zum Beispiel Aimee & Jaguar, den ich wunderschön fand. Hauptsächlich habe ich aber Gespräche mit meinen schwulen Freunden geführt und mich auch selbst gefragt, wie ich reagieren würde und versucht, mir daraus etwas zusammenzubasteln.

R&C: Die Geschichte von Jenny und Emma hat eine sehr positive Resonanz ausgelöst. Hast Du damit gerechnet?

LS: Wir hätten so etwas nie erwartet, mit so etwas rechnet man einfach nicht, aber das ist natürlich wunderbar. Ich glaube, dass diese Geschichte so gut ankommt, hat auch damit zu tun, dass sie so behutsam aufgebaut wurde. Das wurde auf einem sehr vorsichtigen, respektvollen Weg erzählt. Außerdem gibt es das Thema an sich wohl nicht so oft, weder im deutschen Fernsehen noch international. Anscheinend beschäftigt das aber ganz viele junge Menschen insbesondere im Teenageralter, die auf der Suche sind, gerade die Liebe für sich entdecken und nicht wissen wo oben und unten ist. Ich habe da eine coole Rolle bekommen, die zu dem Thema eine ganz tolle Einstellung hat.

Und dann kommt natürlich dazu, dass Kasia und ich das unheimlich ernst nehmen, dass wir beide unsere Rollen mögen und dass wir uns auch gegenseitig mögen. Man muss das als Schauspieler zwar auch spielen können, wenn man privat ganz andere Gefühle für den Partner hat. Ich glaube aber, wenn es da eine Antipathie gäbe, würde das irgendwie zu sehen sein, auch weil man vor der Kamera weniger verstecken kann.

R&C: Wie ist dieser Hype bei Dir angekommen? Bekommst Du davon überhaupt etwas mit und wenn ja, wie gehst Du damit um?

LS: Das ist so tröpfchenweise bei mir angekommen und hat sich langsam gesteigert. Am Anfang war ich vor allem erstaunt, dass da Leute Videos von uns zusammengeschnitten und noch Musik drunter gelegt haben. Ich habe keine Facebook-Seite und verfolge das alles nicht intensiv, deshalb bekomme ich das meiste nur indirekt von meinen Kollegen mit. Ab und zu gucke ich mir aber schon an, was da so passiert, und bin dann immer wieder sehr erstaunt, worüber sich die Menschen so Gedanken machen. Ich bekomme auf meiner Homepage teilweise Emails, die ich nicht lesen kann, weil ich die Sprache nicht verstehe, das ist schon Wahnsinn. Und auch die Platzierung bei den AfterEllen Hot 100 – dass ich da überhaupt dabei war, finde ich total krass und unglaublich.

Im Fernsehen ist das ja anders als im Theater, man bekommt vor Ort überhaupt nichts mit. Ein Höhepunkt war für uns deshalb sicherlich der Fantag. Es war unglaublich und wirklich toll, was da an warmherziger Begeisterung auf uns eingestürzt ist. Und nach der Verleihung des Soap Award haben einige Fans sich draußen vor dem Hotel vor mich hingestellt und „Be Mine“ für mich gesungen. Das hat mich total gefreut und gerührt und war eine ganz wertvolle Erfahrung für mich.

Kasia Borek und Lucy Scherer bei den Soap Awards (Bild: lulufa)

R&C: Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert, dass Du nun auch im Fernsehen eine Frau spielst, die sich in eine andere Frau verliebt?

LS: Meine Freunde finden das spannend und interessant, gerade weil solche Rollen ja nicht so oft vorkommen. Das ist aber auch eine Generationenfrage und hängt unter anderem damit zusammen, wie sehr jemand mit dem Thema Homosexualität selbst schon in Berührung gekommen ist. Bei mir ist das zum Beispiel seit meinem Studium ein allgegenwärtiges Thema. Ich habe am ersten Tag meine Mutter angerufen und gesagt: „Mama, ich bin hier mit 10 Männern, und kein einziger steht auf Frauen“.

R&C: Wie bist darauf gekommen, Musicaldarstellerin zu werden? War das ein Kindheitstraum, oder hat sich das erst nach und nach entwickelt?

LS: Ein Vorbild war für mich Romy Schneider. Ich wollte nicht unbedingt sein wie sei, aber ich fand sie toll. Ich wollte eigentlich auch nicht explizit Musicaldarstellerin werden. Ich habe mit vier Jahren angefangen, Ballett zu tanzen, habe dann im Kinderchor am Stadttheater gesungen, dann hat sich das so entwickelt, ich habe gemerkt, dass ich gerne singe und tanze und spiele. Während der Schulzeit war ich dann 10 Monate an einer High School für die Künste in den USA. Da habe ich angefangen mir zu überlegen, ob ich das nicht wirklich beruflich machen will, und nach dem Abi dachte ich, ich versuche das mal.

R&C: Was war das bisherige Highlight Deiner Karriere?

LS: Das war die Zusage, dass ich die Glinda in „Wicked“ spielen darf. Am Anfang hat mich das zwar auch ein bisschen abgeschreckt, dass ich die gleiche Rolle über einen so langen Zeitraum spielen sollte, aber dann konnte ich nicht mehr loslassen. Glinda ist für mich eine Traumrolle gewesen und wird es auch immer bleiben.

R&C: Könntest Du Dir auch vorstellen, wieder auf die Musicalbühne zurückzukehren?

LS: Ich möchte auf jeden Fall Beides weitermachen. Ich habe mich nicht für immer von der Musicalbühne verabschiedet, möchte aber auf jeden Fall auch weiter drehen. In Deutschland ist es leider so, dass man meistens in einer Schublade steckt und da auch nicht mehr rauskommt. Es ist erstaunlich, dass es unter den Kunstrichtungen diese Vorurteile gibt, statt dass man sich freut, dass jemand anderes einen anderen Stil vorantreibt und gut findet. Ich kann diese Ignoranz nicht verstehen.

R&C: Was macht Lucy Scherer, wenn sie nicht Jenny ist?

LS: Wir haben nicht viel Freizeit, aber wenn, dann versuche ich, am spannenden Berliner Leben teilzunehmen, Freunde zu treffen oder mich auch mal sportlich zu betätigen, was im Winter leider etwas zu kurz gekommen ist. Das Wochenende geht leider immer unheimlich schnell vorbei, und am Sonntag ist es dann schon wieder Zeit zum Textlernen. Aber wenn ich mal Zeit habe, ist es auch schön, einfach mal auf der Couch zu liegen und nichts zu machen.

R&C: Wenn Du Dir etwas für die Weiterentwicklung von Jenny und die Liebesgeschichte von Jenny und Emma wünschen dürftest, was wäre das?

LS: Dass Jenny der Neubeginn, den sie in Köln gesucht hat, gelingt, dass sie es schafft, ihre Vergangenheit zu besiegen und sich quasi neu zu erfinden, und dass sie in Emma jemanden hat, der sie dauerhaft begleitet. Außerdem wünsche ich mir für sie, dass sie ihre Schwächen in den Griff bekommt. Auch durch diese Karriere als Kinderstar hat sie eine gewisse Hemmungslosigkeit, die ihr selbst geschadet hat. Es wäre schön, wenn sie es schaffen könnte, die nicht mehr durchkommen zu lassen.

R&C: Welche Botschaft würdest Du den Zuschauern und insbesondere den Fans, die die Liebesgeschichte von Jenny und Emma so gebannt verfolgen, gerne mitgeben?

LS: Ich würde mir wünschen, dass sie lernen, Kraft und Mut aus sich selbst zu ziehen, und dass sie keine Angst davor haben, von Anderen oder der Gesellschaft verurteilt werden und sich deshalb verleugnen.